Föderalismus: zwischen Kooperation und Wettbewerb
Sollen Kooperation und Ausgleich oder Wettbewerb und Spitzenförderung die Leitbilder der (Finanz)-Beziehungen zwischen den Regionen Europas sein? Und wie lassen sich der Wunsch nach regionaler Autonomie und die Eindämmung regionaler Ungleichheiten miteinander vereinbaren? Auf europäischer Ebene stehen diese Fragen aktuell, im Zuge der Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen der EU, wieder verstärkt im Fokus.
Auch innerhalb vieler Mitgliedstaaten wird der Umgang mit regionalen Ungleichheiten immer stärker thematisiert, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Wahlerfolge anti-europäischer und rechtspopulistischer Parteien in einzelnen Regionen. Um die Debatten über Ausgleichspolitiken zwischen Regionen und Förderpolitiken innerhalb einzelner Regionen nachzuzeichnen, wenden wir uns in diesem Blogpost exemplarisch der Bundesrepublik Deutschland zu.
Föderalismus – also eine territorial gegliederte Staatsordnung in der die Gliedstaaten und der Bund für unterschiedliche, öffentliche Aufgaben zuständig sind – hat in Deutschland Tradition. Bereits 1849 wurde mit der Paulskirchenverfassung der Weg von einem Staatenbund in einen Bundesstaat eingeschlagen. Die heutige deutsche föderalstaatliche Ordnung wird meist als kooperativ eingeordnet. Hier ist die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in der Gesetzgebung maßgebend (die Umsetzung der Gesetze obliegt jedoch häufig den Ländern). Darüber hinaus fordert das Grundgesetz mit der „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ (Artikel 72) eine Ausgleichspolitik zwischen den Bundesländern, die insbesondere durch den Länderfinanzausgleich erzielt werden soll. Dieses auf Subsidiarität und Solidarität basierende System steht jedoch mehr und mehr in Konkurrenz zu einer weiteren föderalstaatlichen Variante: dem Wettbewerbsföderalismus, der den Entscheidungsspielraum der Gliedstaaten hervorhebt und regionale Ungleichheiten stärker zulässt.
Der Wettbewerbsföderalismus
Im Wettbewerbsföderalismus sollen Bundesländer in der Bereitstellung von Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln (besonders in der Steuergesetzgebung) miteinander um Investitionen und Fachkräfte konkurrieren. Das Gutachten der fünf Wirtschaftsweisen bringt die Stoßrichtung der Diskussion zu Beginn des neuen Millenniums auf den Punkt: „Der kooperative Föderalismus muss durch einen Wettbewerbsföderalismus ersetzt werden. Föderalismus ohne Wettbewerb ist eigentlich kein Föderalismus“ (Sachverständigenrat,2002/03 p.235). Ökonomisch schwächere Gebiete sollen dann verstärkt durch attraktivere, wirtschaftliche Rahmenbedingungen für höhere Investitionen und mehr Arbeitsplätze sorgen. Diese inner-staatliche Wettbewerbsfähigkeit soll schließlich auch der internationalen Wettbewerbsfähigkeit eines Landes auf die Sprünge helfen. Wie erfolgsversprechend eine solche Strategie ist, bleibt fraglich. Die Föderalismusreformen I (2006) und II (2009) brachten Deutschland stärker in Richtung Wettbewerbsföderalismus. Auch wenn ein Steuerwettbewerb zwischen den Ländern nicht eingeführt wurde, untersagt die Schuldenbremse den Bundesländern künftig eine expansive Investitionspolitik, sofern dafür neue Schulden aufgenommen werden müssen. Auch der Länderfinanzausgleich wird ab 2020 durch den bundesstaatlichen Ausgleich ersetzt, zur Freude der wohlhabenderen Bundesländer, die sich dadurch geringere Transferzahlungen versprechen.
Förderpolitik: Produktivitätssteigerung statt Arbeitsplätze?
Die Wettbewerbslogik lässt sich auch auf die Förderpolitik einzelner Regionen übertragen. Investitionen sollen dann zunehmend in Wachstumszentren und weniger in meist ländlichen und strukturschwachen Regionen getätigt werden. So forderte beispielsweise das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) jüngst, Städte als den Motor der Konvergenz anzuerkennen und Abwanderungen aus ländlichen Räumen auch in der Wirtschaftsförderung stärker zu antizipieren (2019, p.24). Die Schaffung von Arbeitsplätzen solle nicht mehr oberste Priorität haben: „Stattdessen ist Produktivitätssteigerung das Gebot der Stunde.“ (p.25). Eine Förderpolitik, die jedoch Wirtschaftswachstum als oberstes Ziel hat, läuft Gefahr, durch „Spitzenförderung“ wirtschaftsschwache Regionen zu vernachlässigen und die Disparitäten zwischen den regionalen „Lebensverhältnissen“ noch zu verstärken. Wenn Arbeitsplätze wegbrechen und die Bevölkerungen nicht in die Wirtschaftszentren abwandern, können die Sozialausgaben in strukturschwachen Regionen weiter steigen.
Wie sich eine wettbewerbsorientierte Förder- und Ausgleichspolitik schließlich auf die Gesellschaft auswirkt, bleibt Gegenstand der Forschung. Vieles deutet allerdings darauf hin, dass stärkere regionale Disparitäten auch zum Erfolg national-populistischer Parteien beitragen (Wishlade 2019). Ein kürzlich veröffentlichtes Arbeitspapier der Europäischen Kommission zeigt, dass euroskeptische Parteien insbesondere in strukturschwachen und ländlichen Gebieten, die einen kontinuierlichen wirtschaftlichen Abschwung erlebten, erfolgreich waren (Disjkstra et al., 2018). Gleichzeitig können langfristige EU-Subventionen in strukturschwache Regionen auch zu einer höheren Zustimmung zur EU führen (Siehe Borin et al., 2019). Ob sich regionale Förderpolitiken am Leitbild des Wettbewerbs oder des Ausgleichs orientieren, kann daher einen entscheidenden Einfluss auf die politischen Verhältnisse innerhalb der Regionen Europas haben. Ein Punkt, den die Mitgliedstaaten sowohl in ihrer eigenen, als auch in Bezug auf die Europäische Regionalpolitik im Blick haben sollten.
Quellen und weiterführende Informationen:
Bundeszentrale für Politische Bildung (2013): Zusammenarbeit im deutschen Föderalismus.
Borin, Alessandro and Macchi, Elisa and Mancini, Michele, EU Transfers and Euroscepticism: Can’t Buy Me Love? (June 1, 2018). University of Zurich, Department of Economics, Working Paper No. 289.
Disjkstra, Lewis, Poelman, Hugo and Rodríguez-Pose, Adrés (2018): The Geography of EU Discontent.
Wishlade, Fiona (2019): The rise of populism, regional disparities and the regional policy response.